Der Abschied von der Valproinsäure

Keine Vorschrift mehr: Prophylaxe mit nicht zugelassenem Mittel

von Dr. med. Axel Heinze

Keine Vorschrift mehr: Prophylaxe mit nicht zugelassenem Mittel
Der Abschied von der Valproinsäure

Um einen CGRP-Antikörper verordnet zu bekommen, müssen Migräne-Patienten alle zur Verfügung stehenden Prophylaxe-Medikamente erfolglos probiert haben. Die Vorgabe bezog sich auch auf die nicht zugelassene, nebenwirkungsreiche Valproinsäure. Dieses Kuriosum wurde am 31. Juli beendet, wie Dr. Axel Heinze, Leitender Oberarzt an der Schmerzklinik Kiel, berichtet.

Die Valproinsäure (oder Valproat) wird von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie seit Jahren als Substanz der ersten Wahl zur Vorbeugung der Migräne empfohlen – im gleichen Atemzug mit beispielsweise Betarezeptorenblockern, Topiramat oder Amitriptylin. Im Gegensatz zu diesen Standardsubstanzen ist die Valproinsäure allerdings nicht zur Migränevorbeugung zugelassen. Eine Verschreibung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungen ist damit formal nur möglich, wenn die zuständige Krankenkasse vorher eine Einzelfall-Genehmigung zum sogenannten „Off-Label-Use“ erteilt wurde. „Off-Label“ bedeutet, dass das Medikament außerhalb der eigentlichen Zulassung eingesetzt wird. 2010 war dieser für alle Seiten lästige Genehmigungsprozess durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) außer Kraft gesetzt worden. Der GBA erlaubte Neurologen, Psychiatern und Nervenärzten den Einsatz ohne vorherige Genehmigung unter der Bedingung, dass eine Behandlung mit anderen zur Migräneprophylaxe zugelassenen Arzneimitteln nicht erfolgreich war.

Gut wirksam, aber reich an Nebenwirkungen

Tatsächlich änderte diese Vereinfachung allerdings nichts an der Tatsache, dass die Valproinsäure als Migräne-Prophylaxe lange Zeit ein Stiefmütterchendasein fristete. Dies lag nicht an einer schlechten Wirksamkeit – die Wirkung war in vielen Studien belegt. Potenzielle Nebenwirkungen wie Leberschädigung, Schwindel, Gewichtszunahme, Hautausschlag oder Haarausfall und ein deutlich erhöhtes Fehlbildungsrisiko für das Kind im Fall einer Schwangerschaft waren einfach zu unattraktiv.

Dann kamen die monoklonalen Antikörper, eine innovative, aber auch hochpreisige neue Klasse von Migräneprophylaktika. Intuitiv hätte man annehmen dürfen, dass diese Substanzen mit ihrer unschlagbar guten Verträglichkeit der Valproinsäure endgültig den Garaus hätten machen müssen. Doch weit gefehlt! Plötzlich fand sich die preisgünstige Valproinsäure auf der Liste der Migräneprophylaktika, die ein Patienten laut GBA erfolglos erprobt haben musste, bevor ein Antikörper verordnet werden durfte. Nur wenn eine sogenannte Gegenanzeige gegen den Einsatz vorlag, wie eine Vorerkrankung der Leber oder das Fehlen einer wirksamen Verhütungsmethode bei Frauen im gebärfähigen Alter, war der Arzt von dieser Verpflichtung verbunden.

Konkret bedeutete dies, dass der GBA und damit die gesetzlichen Krankenkassen von Patienten aus wirtschaftlichen Erwägungen verlangten, mit der Valproinsäure eine nicht ungefährliche und für die Migräneprophylaxe nicht zugelassene Substanz einzusetzen. Dabei war die Bedingung für einen Off-Label-Einsatz, das Fehlen einer zugelassenen Alternative, gar nicht gegeben. Die monoklonalen Antikörper waren ja alle drei zur Migränebehandlung zugelassen! Die Folge war ein erzwungenes vorübergehendes „Revival“ der Valproinsäure.

Diesen von ihm selbst zu verantwortenden regelwidrigen Zustand hat der GBA erst jetzt, am 31. Juli 2020, beendet. Der GBA stellte nun klar, dass ein Off-Label-Einsatz der Valproinsäure voraussetzt, dass alle drei zugelassenen monoklonalen Antikörper zur Migräneprophylaxe vorher erfolglos erprobt worden sind. Die Krankenkassen dürfen damit nicht mehr aus wirtschaftlichen Gründen den vorherigen Einsatz der Valproinsäure vor den Antikörpern fordern!

Im Rahmen der Neubewertung der Valproinsäure durch den GBA stellte sich folgendes interessante Detail heraus: Das Bundesministerium für Gesundheit hatte darauf hingewiesen, dass derzeit gar kein pharmazeutisches Unternehmen dem Off-Label-Einsatz seines Valproinsäurepräparates zugestimmt habe. Dies wäre aber eine Grundbedingung für deren Einsatz. Damit kann die Valproinsäure derzeit zur Migräneprophylaxe gar nicht verordnet werden und hätte wahrscheinlich auch in den letzten Jahren von den Kostenträgern gar nicht gefordert werden dürfen. Damit dürfte der endgültige Abschied der Substanz eingeläutet sein.    

Dr. Axel Heinze

Autor
Dr. med. Axel Heinze
Leitender Oberarzt
Neurologisch-verhaltensmedizinische Schmerzklinik Kiel
Heikendorfer Weg 9-27
24149 Kiel
www.schmerzklinik.de