Kein erhöhtes Corona-Risiko durch Migräne-Therapie

Interview mit Dr. Borries Kukowski

Neurologe beantwortet Fragen von Migräne-Betroffenen

Kein erhöhtes Corona-Risiko durch Migräne-Therapie

Viele Migräne-Betroffene melden sich bei der MigräneLiga, weil sie sich sorgen, ob das Corona-Virus für sie – wegen ihrer Krankheit oder Medikamenten, die sie nehmen – eine besondere Gefahr darstellt. Der Neurologe Dr. Borries Kukowski aus Göttingen hat für die MigräneLiga die wichtigsten Fragen beantwortet.

Dr. Kukowski
Dr. Borries Kukowski, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie

Manche Betroffene haben zur Zeit gehäuft Migräne. Kann das mit der Corona-Epidemie zusammenhängen?

Dr. Kukowski: Nein, da ist kein direkter Zusammenhang zu befürchten. Man könnte sich jedoch vorstellen, dass Faktoren wie diese als Auslöser wirken: veränderte Lebensrhythmen und Gewohnheiten, wenn jemand also sein Schlaf-Wach-Verhalten ändert, auf den gewohnten Ausdauersport verzichtet, sich besonders gestresst fühlt oder ähnliches. Das Migränegehirn reagiert eben empfindlich auf Veränderungen!

Es wurde berichtet, dass Candesartan die Infektionsgefahr erhöhen könnte. Viele Migräne-Patienten nehmen den Blutdrucksenker zur Vorbeugung von Migräne. Gilt das Risiko nur bei Bluthochdruck oder auch, wenn man ihn als Migräne-Prophylaxe nutzt?

Dr. Kukowski: Von beidem kann nach jetzigem Erkenntnisstand keine Rede sein. Diese Frage bezieht sich auf biologische und tierexperimentelle Befunde, die darauf hindeuten, dass bestimmte Medikamente, darunter Sartane, die Anzahl der Bindungsstellen (Rezeptoren) für das schon länger bekannte SARS-Corona-Virus in der Lunge erhöhen können. Ob diese Rezeptoren aber auch das neue Virus SARS-CoV-2 binden, ist ungeklärt. Es ist also völlig spekulativ, von einem erhöhten Infektionsrisiko bei Einnahme dieser Medikamente zu sprechen. Insofern gibt es auch keinen wissenschaftlichen Hintergrund für eine Empfehlung, die Einnahme dieser Medikamente zu beenden.

Bestehen bei den anderen Prophylaxe-Medikamenten Bedenken in Bezug auf Corona?

Dr. Kukowski: Nein, dafür gibt es keine Hinweise.

Haben die neuen CGRP-Antikörper („Migräne-Spritze“) Auswirkung auf das Immunsystem? Macht die Therapie anfälliger für Corona-Viren?

Dr. Kukowski: Nein, da gibt es keinerlei Anlass zur Sorge Die Antikörper beeinträchtigen die Immunabwehr in keiner Weise.

Gerüchteweise soll Ibuprofen die Krankheit Covid 19 verschlechtern. Sollten Migräne-Betroffene Ibuprofen oder andere Schmerzmittel meiden?

Dr. Kukowski: Dafür gibt es ebenfalls keine gesicherten Erkenntnisse, auch nicht aus den schon länger vorliegenden Erfahrungen mit anderen Corona-Viren. Erste anderslautende Empfehlungen, nach denen man mit Ibuprofen vorsichtig sein soll, wurden von der Weltgesundheits-Organisation WHO inzwischen zurückgezogen.

Manche Migräne-Patienten nehmen Kortison, etwa bei einer Dauermigräne (Status migraenosus). Erhöht dies das Infektionsrisiko, weil das Immunsystem durch die Therapie geschwächt wird? Müssen sie vorsichtiger sein?

Dr. Kukowski: Generell erhöhen Medikamente, welche die Arbeit des Immunsystems beeinträchtigen, die Anfälligkeit für Infekte. Das gilt auch für Kortison. Verschiedene Fachgesellschaften empfehlen daher, den Einsatz von Kortison etwa für die Behandlung chronisch entzündlicher Darm-Erkrankungen oder zur Therapie der Multiplen Sklerose einzuschränken beziehungsweise im Einzelfall kritisch zu prüfen. So sehe ich es auch bezüglich der Behandlung des Migränestatus: Ich halte die Kortisongabe im Einzelfall über kurze Zeit für vertretbar, wenn der/die Betroffene in der Zeit der Einnahme und einige Tage darüber hinaus besonders strikt auf die Einhaltung der Vorsichtsmaßnahmen achtet, etwa auf Kontakte verzichtet (was im Migränestatus ohnehin weitgehend der Fall sein dürfte).

Müssen Migräne-Patienten, die mit Sars-CoV-2 infiziert sind, etwas bei der Migräne-Therapie beachten? Dürfen sie beispielsweise weiter Triptane nehmen?

Dr. Kukowski: Es ist nicht anzunehmen, dass im Falle einer Infektion Einschränkungen bei der Migräne-Therapie nötig sind oder Besonderheiten berücksichtigt werden müssen. Insbesondere spricht sicher nichts gegen eine weitere Einnahme von Triptanen.

Vielen Dank, Herr Dr. Kukowski!

Die Fragen sammelten Veronika Bäcker, Annika Sandré und Anja Rech

Unser Experte:

Dr. Borries Kukowski, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, praktiziert in einer Gemeinschaftspraxis in Göttingen und ist Regionalbeauftragter der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft (DMKG) für Niedersachsen.