Privat-Doz. Dr. med. Charly Gaul, Chefarzt an der Migräne- und Kopfschmerz-Klinik Königstein. Aus migräne magazin 59

Eltern und ganze Familien leiden mit ihren Kindern, wenn diese häufig von starken Kopfschmerzen oder Migräne-Anfällen heimgesucht werden. Eine offene Beobachtungsstudie zeigt nun, dass ein bei Erwachsenen bewährter natürlicher Wirkstoffkomplex aus Q10, Omega-3-Fettsäuren und Anthocyanen auch bei Kindern zur Prophylaxe eingesetzt werden kann. So kann bei gutem Ansprechen auf eine medikamentöse Prophylaxe verzichtet werden.
Herr Dr. Gaul, immer häufiger beobachten Ärzte Migräne bei Kindern. Wie können diese anfallartigen Kopfschmerzen bei Kindern erkannt werden?
Kindliche Migräne-Anfälle unterscheiden sich von der typischen Migräne-Schilderung bei Erwachsenen. So sind die Schmerzen häufiger beidseitig als einseitig ausgeprägt. Insbesondere jüngeren Kindern fällt es schwer, den Schmerzcharakter näher zu beschreiben, so dass genauere Angaben, wie drückend oder pulsierend, häufig nicht zu erheben sind. Kinder reagieren auch anders als Erwachsene: Viele unterbrechen ihre reguläre Tagesaktivität und ziehen sich zurück. Intuitiv suchen sie Ruhe oder klagen über Bauchschmerzen. Die Anfälle dauern bei Kindern insgesamt viel weniger lange und können nach Ruhe und ein bis zwei Stunden Schlaf vorbei sein. Aura-Symptome können Kinder in aller Regel plastisch schildern. Falls die Zuordnung schwierig ist, kann es hilfreich sein, eine Zeichnung anfertigen zu lassen („Male deine Kopfschmerzen oder male dich mit Kopfschmerzen“). So kann eine Zuordnung der Symptome besser gelingen. Im Kindesalter tritt außerdem auch die abdominelle Migräne auf. Dann klagen die Kinder gar nicht über Kopfschmerzen, sondern vor allem über Bauchschmerzen, für die in Untersuchungen beim Haus- oder Kinderarzt keine Ursache zu finden ist.
Die Zahl der von
regelmäßigen Kopfschmerzen und Migräne geplagten Kinder ist in den
vergangen Jahrzehnten stetig angestiegen. Heute sind bereits etwa zehn
Prozent der Schulkinder betroffen. Worin sehen Ärzte die Ursachen
begründet?
Es stimmt, fünf bis zehn Prozent aller
Kinder leiden unter einer Migräne; in der Pubertät steigt die Häufigkeit
auf etwa 15 Prozent an. Vor der Pubertät liegen Jungen und Mädchen in
der Häufigkeit von Migräne und anderen Kopfschmerzen etwa gleich auf,
danach überwiegen die Fallzahlen bei Mädchen. Tatsächlich wird
diskutiert, dass die Häufigkeit von Kopfschmerzerkrankungen im Kindes-
und Jugendalter ansteigt. Zum einen könnte die Zunahme von Stressoren im
kindlichen Umfeld ein Grund dafür sein. Zum anderen könnte die Tatsache
eine Rolle spielen, dass Eltern heute früher als noch vor einigen
Jahren Ärzte aufsuchen, um die Diagnosen und Beschwerden ihrer Kinder
abklären zu lassen. Sicherlich spielt die wachsende Anzahl von Reizen
eine Rolle, auch wenn sich ein direkter Zusammenhang zwischen dem Konsum
elektronischer Medien und der Migräne nicht einfach beweisen lässt.
Nun
ist es in unserer heutigen Gesellschaft für Eltern nahezu unmöglich^
den Alltag ihrer Kinder komplett zu verändern und reizarm zu gestalten.
Welche einfachen Maßnahmen können Eltern anwenden, um die
Wahrscheinlichkeit für Migräne-Anfalle bei ihren Kindern zu reduzieren?
Für
die vorbeugende Behandlung von Kindern und Jugendlichen gelten die
gleichen Empfehlungen, wie für die Behandlung von Erwachsenen.
Regelmäßige Ruhe-und Erholungszeiten im Alltagsablauf sind sehr wichtig.
So sollte auf einen langen Schultag nicht direkt die Erledigung der
Hausaufgaben folgen, sondern ausreichend Zeit zum Spielen, Schlafen oder
Ausruhen bestehen. Regelmäßige Essenszeiten sind bedeutsam, weil Kinder
mit Kopfschmerzen sehr empfindlich auf das Ausfallen von Mahlzeiten und
Hunger reagieren können. Verhaltenstherapeutische Konzepte sind im
Kindesalter besonders wirksam, da sich Verhaltensmuster in jungen Jahren
leichter als im Erwachsenenalter ändern lassen. Außerdem wirken
ausreichende Schlafzeiten positiv. Wenn im Umfeld kindgerechtes
Entspannungstraining angeboten wird, sollte dies versucht werden. In
erster Linie muss bei vielen Kindern der Tagesplan entschlackt werden,
so dass neben schulischen und anderen Verpflichtungen noch Freizeit
bleibt.
Ein Tagebuch kann helfen herauszufinden, ob es besondere Auslöser oder auslösende Situationen gibt.
Die
konventionelle Therapie bestehend aus starken Schmerzmitteln,
Betablockern oder Triptanen wird schon bei Erwachsenen von mitunter
starken Nebenwirkungen begleitet. Welche sind bei Kindern bekannt?
Erste
Wahl in der Behandlung akuter kindlicher Migräne-Attacken ist der
Einsatz von Ibuprofen. Insbesondere für Kinder unter zwölf Jahren sind
Triptane nicht zugelassen. Mittlerweile zeigen jedoch Studiendaten, dass
im Kindesalter Triptane eingesetzt werden können, wenn andere
Möglichkeiten der Therapie nicht ausreichen. Übelkeit und Erbrechen
können, sofern sie auftreten, im Kindesalter ebenfalls behandelt werden.
Metoclopramid (MCP) sollte dazu jedoch nicht eingesetzt werden, da es
im Kindes- und Jugendalter mit einer erhöhten Rate von Nebenwirkungen
einhergeht.
Insgesamt vertragen Kinder Kopfschmerzmedikation in aller
Regel gut. Wenn die empfohlenen Verhaltensmaßnahmen nicht ausreichen,
um die Kopfschmerzen zu reduzieren, können auch medikamentöse
Prophylaktika eingesetzt werden, hier kommen auch Betablocker und
anderer Medikamente in Frage. Viele Eltern sehen das kritisch. Mehr
Nebenwirkungen als beim Einsatz bei Erwachsenen sind nicht zu
befürchten. Die Behandlung sollte aber immer in ein Gesamtkonzept
eingebunden sein.
Sie
haben im letzten Jahr zusammen mit weiteren Experten eine
ernährungsmedizinische Studie durchgeführt, die den natürlichen
Wirkstoffkomplex MIGRA3 in der Behandlung und Prophylaxe von Migräne bei
Kindern untersucht hat. Was können Sie zu den Ergebnissen sagen?
Die
enthaltenen Einzelkomponenten, wie Coenzym Q10, sind in
plazebo-kontrollierten Studien nachgewiesenermaßen migräneprophylaktisch
wirksam. Weil die Kombination bislang in Studien nicht ausreichend gut
untersucht war, haben wir in Zusammenarbeit mit dem Herstellereine
offene Beobachtungsstudie durchgeführt: Kinder und Jugendliche, die mit
dem Präparat behandelt wurden, haben ihre Kopfschmerzhäufigkeit und den
Verbrauch ihrer Medikation in einem speziellen Studientagebuch
dokumentiert.
Die offene Studie konnte eine Reduktion der
Kopfschmerzhäufigkeit zeigen. 67 Kinder mit zu Beginn im Durchschnitt
acht Kopfschmerztagen pro Monat nahmen an der Studie teil. 60 Prozent
von Ihnen erfuhren eine Kopfschmerzreduktion; bei etwa einem Drittel
gelang es, die Kopfschmerzhäufigkeit mindestens zu halbieren. Im letzten
Behandlungsmonat bestanden im Durchschnitt noch 5,3 Kopfschmerztage.
Auf dieser Datengrundlage ist es prinzipiell möglich, einen
Therapieversuch mit dem Präparat durchzuführen. Dies ergänzt die
Empfehlungen zur Lebens- und Freizeitgestaltung. Für viele Eltern ist es
beruhigend zu wissen, dass kein Betablocker oder anderes Medikament,
sondern ein diätetisches Nahrungsmittel im Sinn einer bilanzierten Diät
eingesetzt wird.
Waren im Rahmen der Studie nennenswerte Nebenwirkungen oder weitere positive Effekte bei den Kindern zu beobachten?
Erfreulicherweise
kommt es selten zu Nebenwirkungen, nur vier Studienteilnehmer gaben
Nebenwirkungen an. Schwere Nebenwirkungen traten nicht auf. Den meisten
Kindern schmeckte der Saft gut (ein Teil des Präparats wird in Wasser
aufgelöst, ein anderer Teil als Kapsel geschluckt). Durch die Reduktion
der Kopfschmerzen reduzierte sich die mit Fragebögen erfasste
Beeinträchtigung durch Kopfschmerzen.
Was empfehlen Sie Eltern, die bei Kindern diesen natürlichen Wirkstoffkomplex in der Behandlung von Migräne versuchen wollen?
Zunächst
sollten die Empfehlungen zur Lebensführung umgesetzt werden. Zur
Behandlung akuter Schmerzen sollten Eltern, wenn eine medikamentöse
Behandlung erforderlich ist, nicht zu zögerlich sein. Hier wird häutig
versucht, die Einnahme von Medikamenten zu vermeiden, so dass die Kinder
dafür unter zum Teil sehr heftigen Attacken leiden müssen. Sollten die
Kopfschmerzen öfter auftreten, wird eine Prophylaxe erforderlich.
Welches Präparat am geeignetsten ist, sollte mit dem Arzt besprochen
werden. Für viele Kinder lohnt sich der Versuch mit einem solch
natürlichen Wirkstoffkomplex, so dass auf Medikamente verzichtet werden
kann. Die Wirkung kann nach drei Monaten beurteilt werden. Kann die
Kopfschmerzhäufigkeit erfolgreich reduziert werden, ohne dass zusätzlich
Medikamente eingesetzt werden müssen, ist das eine prima Sache!
Das Gespräch führte Anna Seidinger mit
Dr. med. Charly Gaul, Privat-Dozent und Facharzt für Neurologie,
Spezielle Schmerztherapie und Neurologische Intensivmedizin,
Chefarzt an der Migräne- und Kopfschmerz-Klinik Königstein im Taunus