Sehfehler als Migräne-Trigger

Interview mit dem Augenarzt Dr. Fritz Gorzny. Aus migräne magazin 46

Dr. Gorzny
Dr. Gorzny

Herr Dr. Gorzny, Sie erwähnen in Ihren Veröffentlichungen und Vorträgen die Häufigkeit von Sehfehlern, die Ursache für Migräne und Kopfschmerzen sein können. Wie hoch schätzen Sie den Anteil der Patienten?

Dr. Fritz GorznyDie Frage, wie viele Patienten, die mit Kopfschmerzen zum Augenarzt kommen, an einer Erkrankung im Augenbereich leiden, lässt sich nicht exakt beantworten. Die Zahlen darüber in der Literatur schwanken gewaltig – je nach Autor und Fachgebiet. Die Neurologen behaupten, dass es gerade mal um ein Prozent gehe, die Augenärzte rechnen mit über siebzig Prozent. Nach meinen empirischen, praxisbezogenen Schätzungen dürfte eine Zahl um die 25 Prozent realistisch sein – also jeder Vierte ist von einem Augenleiden betroffen, das Migräne oder andere Kopfschmerzen auslöst. Trotzdem werden die wenigsten Menschen auf visuelle Störungen untersucht.Sind diese unterlassenen Untersuchungen zu kompliziert, zu aufwendig, zu riskant?

Sehachsenkorrektur
Sehachsenkorrektur

Weder noch. Bestenfalls wird in den Augenarztpraxen die Sehschärfe geprüft und der Augeninnendruck gemessen. Dass besonders ein gestörtes beidäugiges Sehen, die sogenannte Winkelfehlsichtigkeit, auch im Zusammenhang mit Berechnungsfehlern der Augen Ursache für oft lebenslange Kopfschmerzen sein kann, ist selbst in Fachkreisen weitgehend unbekannt. Häufig werden Gefäßspasmen, also Verkrampfungen im Gehirn oder Verspannungen der Halswirbelsäule oder des Skelettsystems hinter diesen Beschwerden vermutet, ohne den Zusammenhang zu erkennen, dass derartige Haltungsprobleme weitgehend auch durch visuelle Tätigkeiten, beispielsweise am Computer, Fernseher oder Gameboy ausgelöst werden können.

Wie könnte und sollte man also den Beschwerden auf den Grund gehen?
Eine sorgfältige Analyse des beidäugigen Sehens nach der Mess- und Korrektionsmethode, die der Optiker Hans-Joachim Haase (MKH) entwickelt hat. durchgeführt von einem versierten Augenarzt oder von einem Optometristen – so nennt man den Spezialisten für die Sehkraftbestimmung – könnte hier Aufschluss geben. Stattdessen werden die schmerzgeplagten Patienten häufig einer aufwendigen radiologischen Diagnostik unterzogen oder mit orthopädischen und ergotherapeutischen Maßnahmen und medikamentösen Schmerztherapien behandelt. Und das mit durchaus zweifelhaften ErgebnisseWeitere Informationen unter IVBV.org oder Winkelfehlsichtigkeit.de

Schematische Darstellung der Sehachsenkorrektur durch ein Prismenglas (Abb. Red.}n. Hier liegen die von Ihnen erwähnten Risiken, und nicht zuletzt auch die komplizierten und aufwendigen Untersuchungen – und damit die Sache im Argen.

Wenn, wie Sie es skizzieren, eine solche Analyse auf Fehlsichtigkeit schließen lässt: Was wäre dann die Konsequenz für den Patienten?
Schema: SehachsenkorrekturZeigen sich Abweichungen im beidäugigen Sehen aufgrund einer Winkelfehlsichtigkeit, kann eine Brille mit speziellen Prismengläsern die Fehlstellung der Augen korrigieren und somit die Beschwer- den vermindern und Besserung, vielleicht sogar eine vollständige Abhilfe schaffen.
Eine Winkelfehlsichtigkeit wird nicht als eine Diagnose mit Krankheitswert, sondern lediglich als korrekturbedürftiger Stellungsfehler der Augen gesehen.

Dr. Fritz Gorzny, Augenarzt
56068 Koblenz. Schloßstr.18
E-mail:dr.fri tz_gorzny@web.de

Weitere Informationen im Internet unter
www.IVBV.org  oder www.winkelfehlsichtigkeit.de

Schematische Darstellung der Sehachsenkorrektur durch ein Prismenglas (Abbildung Red.)


Winkelfehlsichtigkeit

In der Augenoptik wurde die wissenschaftlich nicht anerkannte Bezeichnung Winkelfehlsichtigkeit (med. assoziierte Heterophorie) im Jahr1993 eingeführt, weil sie bei Beratungsgesprächen die Verständigung mit dem Kunden erleichtert.

Als Winkelfehlsichtigkeit bezeichnet man eine Störung des beidäugigen Sehens. Es handelt sich demnach nicht um ein optisches Problem wie Kurz- oder Weitfehlsichtigkeit. Hauptmerkmal dieser Störung ist ein Bildlagefehler, eine Abweichung der beiden Sehachsen voneinander. Dabei werden die wahrgenommenen Bilder nicht von jedem Auge auf exakt miteinander korrespondierende Netzhautstellen projiziert, so dass die Abbildung bei dem einen Auge in geringem Maß vom anderen abweicht. Die Ursachen hierfür liegen zum einen in der Vermutung, dass die äußeren Augenmuskeln des rechten und linken Auges unterschiedlich ausgebildet sind, zum anderen in einer funktionellen Muskelstörung.

Da die betroffene Person versucht, diese Abweichung selbst zu korrigieren, kommt es zu spezifischen Beschwerden – einer Asthenopie -, die sich unter anderem als Kopfschmerzen, Augenbrennen, Doppelbilder, Nackensteifigkeit, Müdigkeit, Schwindel und Konzentrationsschwäche äußern können. Auch eine Legasthenie oder ein ADHS-Syndrom kann dahinter vermutet werden.

In seltenen Fällen ist die Winkelfehlsichtigkeit so groß, dass die Prismengläser zu dick und zu schwer werden und optisch durch Farbsäume stören. Dann kann eine Augenmuskeloperation die Prismenbrille ersetzen und Beschwerdefreiheit bewirken.