Migräne am Arbeitsplatz

Dr. Zoltan Medgyessy, Leitender Oberarzt der Berolina-Klinik Löhne. Aus migräne magazin 53

Zahlen, die zu denken geben

Kopfschmerzen gehören bei Frauen zu den fünf und bei beiden Geschlechtern zu den zehn Erkrankungen mit den stärksten funktionellen Behinderungen weltweit. Die Migräne ist weltweit die häufigste neurologische Erkrankung und laut WHO nach der Depression die zweit häufigste Erkrankung, wenn man bei Frauen zwischen 15 bis 44 Jahren in Ländern mit höheren Einkommen das behinderungsbereinigte Lebensjahr (DALYs) betrachtet. Die Migräne kommt aber vor allem im berufstätigen Alter sehr häufig vor. 30 Prozent der Arbeitnehmer leiden durchschnittlich an ca. 36 Tagen im Jahr an Migräne.

Die typischen Triggerfaktoren am Arbeitsplatz sind Bildschirmarbeit, schwere körperliche Tätigkeit, helles Licht, Schichtarbeit und Lärmbelastung. Eine Befragung (MELT-Studie) von 1.810 berufstätigen, an Migräne leidenden Frauen in neun Ländern ergab, dass die Lebensqualität der meisten Betroffenen erheblich beeinträchtigt ist: 54 Prozent fürchten sich vor der nächsten Migräne-Attacke, 48 Prozent fühlten sich deprimiert und 30 Prozent fühlten sich nutzlos.

Die Studie zeigt, dass in Deutschland nur zehn Prozent der Betroffenen ihre Attacken mit einem Triptan behandeln, obwohl ca. ein Drittel der Migräniker an schweren Attacken leidet und damit ein Triptan benötigt. Der Anteil der Patienten, die ihre Migräne mit einem Triptan behandeln, ist im europäischen Vergleich sehr gering.
In Schweden erhalten 50 Prozent der Migräniker, in Finnland 41 Prozent ein Triptan. Daraus wird ersichtlich, dass eine Unterversorgung in Deutschland in der Akuttherapie besteht, da Kopfschmerzen im Vergleich zu anderen Erkrankungen nicht ernst genommen werden.
Durch die Unterversorgung kommt es zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität und Funktionsfähigkeit der Betroffenen.
Die Migräne verursacht in Europa unter den neurologischen Erkrankungen nach Demenzerkrankungen die höchsten Kosten und mehr Kosten als Epilepsie und Morbus Parkinson zusammen.

Nach einer Untersuchung
von Prof. Neubauer verursacht die Migräne in Deutschland vor allem indirekte Kosten mit 6,27 Milliarden Euro jährlich, im Sinn von Leistungseinschränkungen am Arbeitsplatz und Arbeitsunfähigkeitstagen. Da das Verhältnis der direkten zu indirekten Kosten 1:13 ist, wird ersichtlich, dass von den Kosten am meisten die Arbeitgeber betroffen sind. Damit wird ersichtlich, dass die Migräne ein ernsthaftes betriebsärztliches Problem ist.
Die entstehenden jährlichen krankheitsbedingten Kosten der Migräne in einem Unternehmen mit 10.000 Mitarbeitern beziffert Neubauer auf 1.3 Mio. Euro. Davon wird die Produktivitätseinbuße jährlich auf 754.000 Euro, die migränebedingte Abwesenheit auf 494.000 Euro und der Ausfallersatz auf 52.000 Euro beziffert.
Durch leitliniengerechte Therapie-Optimierung können nach Neubauer die migräne-bedingten Kosten bei einem Unternehmen mit 10.000 Mitarbeitern jährlich um 600.000 Euro verringert werden, da die Leistungseinschränkungen am Arbeitsplatz und durch Abwesenheit reduziert werden und der Auslallersatz entfallt.

In einer spanischen Studie
wurde die Wirksamkeit einer Migräne-Therapie mit einem Triptan auf Produktivität und Lebensqualität bei 259 Migränikern untersucht. Vor der Studie nahmen bei Migräne nur 7 Prozent der Betroffenen ein Triptan ein. Nach drei Monaten Therapie mit einem Triptan reduzierte sich die auf Fehltage berechnete Zeit mit Leistungseinschränkungen am Arbeitsplatz signifikant von 3,3 auf 1,2 läge. Die Gesamtzahl der Fehltage reduzierte sich im Vergleich um mehr als 60 Prozent von 5,2 auf 1,8 Tage. Die Lebensqualität hat sich in allen getesteten Bereichen (SF-36, ML- 96) signifikant gebessert.
Da deutsche Betriebsärzte im Gegensatz zu spanischen Betriebsärzten keine medikamentöse Therapie verordnen können, ist es empfehlenswert, migräne-betroffene Arbeitnehmer in Bezug auf ihre Erkrankung und deren aktuelle leitliniengerechte Therapie direkt am Arbeitsplatz zu informieren.