Nein-Sagen kann man lernen

Psychologische Unterstützung bei der Migräne-Behandlung

Diplom-Psychologe Arne Sörensen, Berolina-Klinik. Quelle: migräne magazin 66

Zu den häufigsten Auslösern für Migräne-Attacken zählt Stress. Eine Überlastung lässt sich jedoch vermeiden, wenn Betroffene auch mal nein sagen. Warum das schwierig ist und wie man es lernt, beschreibt der Diplom-Psychologe Arne Sörensen.

Sag doch einfach mal nein!” – dieser gut gemeinte Ratschlag wird gerne anderen erteilt. Wenn es so einfach wäre! Soviel vorweg: Nein sagen ist lernbar, aber es ist nicht einfach. Unterstellt man, dass es einfach sei, kann dies bei Menschen, denen es nicht gelingt, dazu führen, sich schlecht zu fühlen. Dies wäre nicht hilfreich, da viele ohnehin zu oft dazu neigen, sich Vorwürfe zu machen.

Stress ist ein häufiger Triggerfaktor
Warum ist „Nein-Sagen” ein Thema für Migräne-Patienten? Migräne ist eine neurologische Erkrankung, sodass ein Zusammenhang erst einmal nicht nahe liegt. Jedoch ist zwischen Ursachen und Auslösern zu differenzieren. Auch wenn die Ursachen im neurologischen Bereich liegen, gilt dies nicht automatisch auch für die Auslöser. Gerade bei Migräne sind Auslöser, auch Trigger genannt, in den verschiedensten Bereichen zu finden. Häufig lösen Stress- und Überforderungssituationen eine Attacke aus. Dazu kommen Situationen, die plötzlich und unerwartet auftreten und die Ordnung der Tagesstruktur, die ja gerade für Migräne-Patienten sehr wichtig ist, durcheinander bringen. Will man diese Auslöser meiden, kommt man an dem Thema „Nein-Sagen” kaum vorbei. So ist es ein fester Bestandteil in der Behandlung von Migräne- Patienten in der Berolina- Klinik. Hier werden dem Bio- Psycho-Sozial-Modell entsprechend nicht nur körperliche (biologische) Aspekte berücksichtigt, sondern auch psychische und soziale. Dies wird in einer multimodalen Therapie umgesetzt, das heißt, dass verschiedene Berufsgruppen von Behandlern mit unterschiedlichen Schwerpunkten mit dem Patienten an derselben Thematik arbeiten. Das ist auch ambulant möglich, jedoch hat gerade eine stationäre Reha-Behandlung den Vorteil, dass sich die unterschiedlichen Therapeuten über den Patienten austauschen und abstimmen können.


Foto: © goodluz - Fotolia.com
Foto: © goodluz – Fotolia.com

Das Grundbedürfnis, geliebt zu werden
Viele Menschen hindert Angst vor Zurückweisung am Nein- Sagen. Diese Furcht ist sehr ernst zu nehmen. Sie geht auf ein biologisches Grundbedürfnis zurück, nämlich gemocht zu werden. Es ist in uns Menschen verankert, weil es ein Überlebensvorteil ist. Das steht in der heutigen Zeit nicht mehr im Vordergrund, ist aber entwicklungsgeschichtlich bedeutsam: Vor tausenden von Jahren, als der Mensch noch in freier Wildbahn lebte, war es äußerst bedenklich, aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden, da das Überleben alleine wesentlich schwieriger war. Somit ist die Angst vor Zurückweisung den Grundängsten zuzuordnen. Diese Grundangst kann in Situationen, in denen es um das Nein-Sagen geht, aktiviert werden und erklärt das häufig auftretende schlechte Gewissen.


Hauptproblem: ein schlechtes Gewissen
In den verhaltenstherapeutischen Gruppen erhalten die Betroffenen nicht einfach nur praktische Tipps und Ratschläge. Sondern zuerst werden die Schwierigkeiten, die mit dem Nein-Sagen verbunden sind, beleuchtet. Ein häufig geäußerter Wunsch von Patientinnen lautet: „Ich möchte lernen, ohne schlechtes Gewissen nein zu sagen.” Obwohl wir als Rehaklinik bestrebt sind, den Anliegen unserer Patienten gerecht zu werden, lässt sich dieser Wunsch nicht ohne weiteres umsetzen. Vielmehr wird versucht, das Ziel neu zu formulieren. Ein realistisches Ziel kann etwa lauten: „Sagen Sie nein und lernen Sie, mit dem damit verbundenen schlechten Gewissen umzugehen.” Dazu gehört, zwischen angemessener Selbstkritik und übertriebenen Gewissensbissen zu unterscheiden. Das macht deutlich, dass psychologische Veränderungen häufig mit Anstrengungen verbunden sind.

Angst vor Zurückweisung
Warum Nein-Sagen so häufig ein schlechtes Gewissen nach sich zieht, liegt daran, dass damit oft Ängste vor Ablehnung und Zurückweisung einhergehen. Diese sind uns Menschen jedoch nicht immer bewusst. Der Gedanke, es immer allen recht machen zu wollen, steht somit dem Nein- Sagen entgegen. Aus diesem Grund kann es für die stationäre Reha-Behandlung, etwa in einer Abteilung für Psychosomatik, hilfreich sein, mit ergänzenden psychologischen Einzelgesprächen an dem Thema „Angst vor Zurückweisung” zu arbeiten. Wie stark diese Grundangst bei einzelnen Menschen ausgeprägt ist, hat sicherlich auch etwas mit Lernerfahrungen in der Kindheit zu tun, die ja bekanntlich sehr unterschiedlich ausfallen.

Die richtige Formulierung finden
In einem zweiten Schritt wird auf der Verhaltensebene geschaut, worauf beim Nein-Sagen besonders zu achten ist. Das fängt bei Mimik, Gestik und Blickkontakt an und geht bis zur Wortwahl. So wird häufig versucht, ein „Nein” angenehm zu verpacken, in der Hoffnung, dass mein Gegenüber nicht so enttäuscht ist. Diese Gefahr besteht jedoch, wenn ich auf die Frage „Kannst du mir am Wochenende beim Umzug helfen?” oder „Kannst du am Wochenende auf die Kinder aufpassen?” antworte: „Eigentlich passt es mir nicht so gut.” Es gibt keine Garantie dafür, dass mein Gegenüber meine Botschaft versteht. Er kann auch verstehen: „Es passt mir zwar nicht so gut, aber ich mache es trotzdem.” Um dem vorzubeugen, ist eine klare Kommunikation erforderlich.

Eine Begründung ist nicht nötig

Wichtig ist auch, sich vor der Rechtfertigungsfalle zu schützen. Diese besteht darin, dass auf ein Nein mit der Frage „Warum denn nicht?” reagiert wird. Sicherlich sollten wir, wenn wir eine gute Begründung für unser „nein” haben, diese auch mitteilen. Im Umkehrschluss darf das jedoch nicht bedeuten, dass wir nur dann nein sagen dürfen, wenn wir eine gute Begründung haben. Liegt keine treffende Begründung vor, gilt es aufzupassen, dass man sich nicht rechtfertigt. Eine weiterer Punkt ist die Überrumpelungsfalle im Sinne von: „Hast du gerade mal eine Sekunde?” oder „Kannst du mal eben?”. Hier ist es wichtig zu wissen, dass es unser gutes Recht ist, auch einmal Bedenkzeit einzufordern und in Ruhe über die Anfrage nachzudenken, statt sofort zu antworten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Nein-Sagen als Verhalten umso besser gelernt werden kann, umso mehr die innere Erlaubnis hierfür besteht. Sollte es Menschen trotz der vielen hilfreichen Tipps und Strategien zum Thema Nein-Sagen (z. B. auf Internetseiten oder in populär-wissenschaftlichen Büchern) nicht gelingen, es umzusetzen, wäre es sinnvoll, sich professionelle Unterstützung zu suchen

Diplom-Psychologe
Arne Sörensen
Berolina-Klinik
Bültestraße 21
32584 Löhne